Sommerfrische in Litauen

Starker Regen und eine Dusche auf der Landstraße: Mein Zelt schlage ich direkt in einem Kornfeld auf. Es ist noch warm, aber der Wetterbericht kündigt für den nächsten Tag schweren Regen an. Ich lege zur Sicherheit meiIMG_5360ne Regenkleidung griffbereit ins Zelt. Der nächste Morgen bringt tatsächlich den angekündigten Regen. Ich fahre drei Stunden durch den Dauerregen. Die Schnellstraße kann das viele Wasser nicht mehr aufnehmen und die Pfützen auf dem kleinen Seitenstreifen werden bedrohlich größer. Manche Pfützen sind teilweise 15 cm tief und 20 Meter lang. Das merke ich besonders, als mein ein schwerer Truck direkt in der Mitte einer dieser langen Pfützen überholt: das Wasser spritzt meterhoch über mich hinweg. Für Sekunden sehe ich die Fahrbahn nicht mehr. Der Luftdruck bzw. der Sog des Fahrzeuges drückt mich auf die Seite und ich beginne mit dem Fahrrad beachtlich zu schwanken. Mein erster Gedanke: jetzt bloß nicht stürzen. Das Wasser läuft mir förmlich aus den Ohren und meine Brille hat die Sehstärke einer Milchglasscheibe. Ich bremse so gut es geht. Dann stehe ich auf dem Seitenstreifen und atme tief durch. “Fearless” heist meine Grundhaltung, dann fahre ich voller Zuversicht weiter in Richtung Stupkalnis Buddhist Retreat Center in Litauen.

IMG_5403Die Anreise gestaltete sich auf den letzten Kilometern etwas schwierig. Die Stadt Kelmė und auch das nahegelegene Dorf Kražių wurden von meinem Fahrrad Navigationssystem akzeptiert. Bei dem angegeben Straßennamen verweigerte es jedoch jede Kenntnis. Also nahm ich die angegebene GPS Position zur Hilfe. Seit der letzten und einzigen großen Straßenkreuzung in Kražių, gab es schon lange keine Asphalt mehr auf der Fahrbahn. Lehm, Steine, lose Schotterpisten und nervige Querfugen waren jetzt meine Begleiter. Als ich den berechneten GPS Punkt erreichte, stand ich vor einem Stacheldrahtzaun und um mich herum nur grüne Hügel und ein kleiner See. Keine Häuser und schon gar keine Zufahrtstraße zu einem Gebäude. Also wieder zurück zur DorIMG_5351fkreuzung. Meine erste Annäherung an den GPS Punkt war aus westlicher Richtung erfolgt. Jetzt fuhr ich um den größten Hügel herum und versuchte es aus östlicher Richtung. Nach mehreren Anstiegen auf mehr oder minder steilen Hügeln, wurde ich entdeckt: allerdings wollte man nicht mit mir sprechen. Vielmehr war man daran interessiert, wahlweise in meine Reifen oder mein Bein zu beißen. Ein freilaufender Wachhund versuchte gerade einen alten Bauernhof zu verteidigen. Nur mit Mühe konnte ich dem Hund davon fahren. Gerade als ich beschleunigte, sah ich im Augenwinkel auf der anderen Hügelseite ein modernes Gebäude und einen Wohnwagen. Es war das Retreat Zentrum Stupkalnis. Um es zu erreichen, mußte ich den Weg jedoch wieder zurückfahren. Und an dem Wachhund vorbei zu kommen war nicht einfach. Aber am Ende des Tages habe ich auch die Zufahrt ins Zentrum gefunden.

Die vier Tage im Zentrum waren sehr erholsam (das Internet war ausgefallen). Ob “mit” oder “ohne” Internet ist das Retreat Zentrum ein Ort der Ruhe und der Meditation in einer wunderschönen Natur.IMG_5381 Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen. Es waren einige Gäste aus Kaunas und Vilnius zur gleichen Zeit im Zentrum. Viele haben mich mit Tips und guten Hinweisen unterstützt. Die meisten Gäste habe ich später noch einmal wieder getroffen. Wir haben zusammen Meditiert, Gekocht und auf der Veranda die Sonnenuntergänge beobachtet. Dabei habe ich viele interessante Gespräche geführt und ein erstes Ré­su­mé meiner Reise gezogen:

“Die wichtigste Erkenntnis, nach 125 Tagen Pilgerreise, ist die, dass ich keine Zeit mehr mit Dingen verlieren möchte, auf die ich keine Lust habe.”

Das Zentrum in Kaunas liegt am Ende einer beruhigten Fußgängerzone, direkt in der Stadtmitte. Ich war pünktlich um 18:30 Uhr im Zentrum und habe den Schlüssel für zwei Übernachtungen erhalten. IMG_5409Gastfreundschaft wurde auch hier sehr groß geschrieben und so begann der Abend nach der Meditation in einem traditionellem litauischen Restaurant. Die Preise sind mit 1 Euro für ein Bier und 3,80 Euro für einen Hauptgang sehr günstig. Anschließend haben wir noch eine Freiluft Kneipe besucht und das lokale Bier getestet. Am nächsten Morgen stand für mich easy going auf dem Programm: lange Schlafen, dann Frühstücken im Cafe, anschließend ein Besuch der mittelalterlichen Burganlage und am Abend noch etwas Meditation.

Vilnius galt seit seiner Gründung als eine der liberalsten Städte Europas, IMG_5412die im Lauf ihrer Geschichte u. a. den verfolgten Juden aus Mitteleuropa und Russland Schutz bot.Heute zählt die Altstadt von Vilnius zu den größten in Osteuropa und wurde zum UNESCO-Welterbe erklärt. Aufgrund der über 50 Kirchen der Stadt trägt Vilnius auch den Beinamen „Rom des Ostens“.

Da das Zentrum am Altstadtring von Vilnius liegt, konnte man zu Fuss die Innenstadt erkunden. Ich kam in den Genuss von einer Abendführung durch die Stadt. Interessanter Weise war auch hier die Kombination aus Kultur und Kneipe sehr beleibt. Am nächsten Morgen wurde ich zu einer privaten Führung durch die Stadt eingeladen.IMG_5455 Eine gute Bekannte, welche in Vilnius wohnt und mit mir den “Tanka”- Malkurs in Russland besucht hatte, zeigte mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Am Sonntagnachmittag wurde ich als Gast auf eine Datscha eingeladen. Abends gab es noch ein Bier in der “Hauskneipe” der Sangha. Die Gaststätte ist direkt gegenüber dem Zentrum und erfreut sich durch regelmäßigen Besuch der Buddhisten.IMG_5460

Am nächsten Tag bin ich dann nach Polen aufgebrochen. Bis zum Retreat Zentrum Kuchary sind es fast 500 Kilometer.

5 Kommentare zu “Sommerfrische in Litauen

  1. Luki

    „Die wichtigste Erkenntnis, nach 125 Tagen Pilgerreise, ist die, dass ich keine Zeit mehr mit Dingen verlieren möchte, auf die ich keine Lust habe.“

    Dann wünsche ich Dir aus vollem Herzen , daß Du auf alles, was Du tust, Lust hast! ?

    Luki

  2. Isolde Karla Noll

    Immer wieder schön, Deine Berichte zu lesen… Hab vorhin noch an Dich gedacht. Wie es Dir so geht und wo Du zur Zeit wohl bist… Schwups kommt ein Bericht von Dir!
    Das Retreatzentrum sieht toll aus!!
    Weiterhin gute und sichere Reise für Dich! Freue mich schon auf Deinen nächsten Bericht!
    Liebe Grüße von Isolde

  3. Ulrike Schipprack

    wunderbar was du erlebst und wie du schreibst…und ich denke jetzt in dieser Jahreszeit ist die Natur herrlich…ich hoffe und wünsche dir dass du nicht so viele Regentouren hast…alles Gute dir weiterhin und viele tolle Begegnungen mit den Freunden …alle Enerergie aus dem Powerfeld vom Lama…es war ein wunderbarer Kurs im EC…karmapa chenno…

  4. Niko u Agnes

    Was für eine inspirierende und toll dokumentierte Reise! Allein für dein zwischenfazit hat sich das losfahren ja schon gelohnt. Die Erkenntnis wie reich der Raum ist, wird sicher auch noch sehr wertvoll auf dem weiteren Weg werden ?

    Herzliche Grüße und wir freuen uns auf dich
    Niko und Agnes

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